Patient-Empowerment (PE)
Ein Wort das vielleicht mit Stärke, Kraft, Dynamik oder sogar Macht in Verbindung gebracht wird, aber doch nichts anderes meint, als die Einbeziehung und Befähigung des Patienten aktiv in den Genesungsprozess und Gesunderhaltungsprozess eingebunden zu werden. Eine Rolle mit der sich sowohl Arzt als auch Patient neu auseinandersetzen muss. Welche Tools und Fähigkeiten nötig sind, um die Patienten tatsächlich „wissender“ zu machen, beschreibt Oliver Neumann, Gründer und Geschäftsführer der CyberDoc GmbH und Berater für Ärzte und Zahnärzte, hier in diesem Artikel.
Durch PE können Patienten befähigt werden, ihren Krankheitsverlauf besser nachzuvollziehen und besser Einfluss auf die eigenen Heilungschancen zu nehmen. Bei jedem Patienten sollte einzeln bewertet werden, welche Entscheidungen für den Heilungsverlauf sinnvoll sind. Der Patient soll dabei in die Entscheidung involviert werden.
Dabei ist PE kein neues Phänomen, das im Rahmen von zunehmenden Digitalisierungsprozessen in der Medizin aufgekommen ist, sondern wurde schon 2013 und früher u.a. durch die WHO klar definiert:
- Patientenkooperation,
- Einbeziehung von Patienten,
- Partnerschaft, Patienten-Empowerment oder
- patientenbezogene Versorgung
Patient Empowerment umfasst Bereiche wie:
- Partizipation bei Entscheidungen,
- Befähigung zur Selbstmedikation und Messung,
- Patientenfortbildung,
- Zielsetzung etc.
Wie bei allen Change Prozessen sollten alle beteiligten Parteien ein Interesse an dieser neuen Verantwortung haben. Arzt und Patient. Doch wie aktiv möchte ausgerechnet der Patient einbezogen werden?
Zunächst muss dem Patienten ausreichend Information und Wissen zur Verfügung gestellt werden, um ihn in die Lage zu versetzen, aktiv an Entscheidungen teilzunehmen.
Diese beinhalten Selbsteffizienz und ein Gesundheitsbewusstsein, das bei der neuen Patientengeneration durch eine Lifestyle Änderung vorgeprägt ist, aber auch Eigeninitiative erfordert.
Die Fähigkeiten des Patienten versetzen ihn in die Lage, den Prozess zu verstehen. Damit wird die Einstellung des Patienten in Bezug auf seinen Einfluss auf Outcome und auf sein eigenes Verhalten positiv beeinflusst.
Eine Kultur, die offen die Partizipation des Patienten unterstützt, erleichtert die Kommunikation und Interaktion auf beiden Seiten.
Bei weitem nicht alle Patienten können sich mit der neuen aktiven Rolle identifizieren. Verschiedene Untersuchungen zur Einbeziehung von Patienten bei medizinischen Entscheidungen haben gezeigt, dass die Bereitschaft der Patienten zur aktiven Entscheidung in Abhängigkeit von der Art der Erkrankung zwischen 20% und 86% liegen kann. (Little P., Everitt H., Williamson, Preferences of patients for patient centred approach to consultation in primary care: observational study. BMJ 2017)
Doch wo die Patienten einst dem Urteil und der Expertise der Mediziner „ausgeliefert“ waren, machen sich seit einigen Jahren Trends bemerkbar, die das Wissen und die Mündigkeit der Patienten im medizinischen Bereich stärken.
Moderne Möglichkeiten der medizinischen Auseinandersetzung
Spätestens seit dem Einzug des Internets in die Haushalte und in weiterer Folge sogar in die Hosentaschen der Patienten, nahm der Wissens- und Informationsaustausch über alle nur denkbaren Themenfelder massiv zu. Nachdem Gesundheit für die Mehrzahl der Menschen das höchste Gut darstellt, ist es naheliegend, dass dieser Wissensbereich in besonderem Fokus stand und immer mehr steht.
Menschen in allen Lebenslagen setzen sich mit dem Phänomen der Gesundheit aus unterschiedlichsten Perspektiven und in unterschiedlicher Tiefe auseinander. Die Angebote dies zu tun, sind mannigfaltig und scheinen mit jedem Tag zusätzlich zuzunehmen. Der Markt reagiert auf diesen Wissens- und Informationsdurst mit verschiedensten Digital-Health-Anwendungen, wie beispielsweise Fitnesstracker, Diabetiker-Apps oder der Symptomsuche über diverse Internetportale. All dies trägt zur Mündigkeit der Patienten in Gesundheitsfragen maßgeblich bei.
Implementierung digitaler Tools immer leichter
Egal, ob es sich um den Arzt in der Hosentasche oder dem Fitnesstrainer am Handgelenk handelt, der Markt macht es möglich, dass Tools mit immer mehr Funktionen, immer leichter in den Alltag der Menschen zu integrieren sind. Die medizinische Diagnose per App ist schon länger für viele Gesundheitsfans zur Realität geworden. Diese Werkzeuge erfassen gesundheits- und umweltbezogene Informationen und werten diese dann im persönlichen Kontext aus. Der Patient erhält Diagnosen, Einschätzungen und Bewertungen und kann daraus gesundheitliche Schlüsse ziehen oder sie dem Arzt des Vertrauens vorlegen, um zu noch besseren Entscheidungen zu gelangen. Run-Apps beispielsweise sorgen für den Extra-Kick an Motivation, wenn man die Laufstrecken auf den Sozialen Medien teilt. Auch Auswertungen über einen längeren Zeitraum zeigen, welche sportlichen, und damit indirekt gesundheitlichen, Leistungen erbracht wurden. Die Anbindung an eine gleichgesinnte Community kann ebenfalls dafür sorgen, dass man am Ball bleibt.
Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten!
Das berühmte Goethe-Zitat gilt natürlich auch im Bereich des Digital-Patient-Empowerments. Wo es viele Möglichkeiten der Wissensaneignung und der Partizipation gibt, gibt es auch die Gefahr, gefährlichem Halbwissen aufzusitzen. Wer Klarheit in Gesundheitsfragen sucht, kann oftmals Verunsicherung ernten. Eine Symptomsuche über diverse Suchmaschinen kann falsche oder unvollständige Diagnosen liefern, welche wahre Horrorszenarien nahelegen, mit der ursprünglichen Suchanfrage jedoch nichts zu tun haben. So steigt der Grad der Desinformation eklatant und Menschen geraten in Panik. Der Markt muss hier mit professionellen und medizinisch fundierten Tools, Apps und Internetforen entgegensteuern, denn Angst ist in keinem und schon gar nicht im medizinischen Bereich, ein guter Berater. Dabei ist die zur Verfügungstellung von Wissen prinzipiell eine gute Sache, da sie den Patienten aus der passiven Rolle herausholt und ihn in eine proaktive und ebenfalls präventive Position bringen kann.
Kommunikation mit dem Arzt auf Augenhöhe
Je besser die Fragen, desto besser können auch die Antworten ausfallen. Dieser Umstand gilt natürlich auch im Arzt-Patienten-Verhältnis. Digital-Patient-Empowerment kann dazu beitragen, die Kommunikation zwischen Arzt und Patient auf eine völlig neue Qualitätsstufe zu stellen. Patienten können so besser, leichter und effektiver in den Beratungs- und Entscheidungsprozess eingebunden werden.
Von der streng hierarchischen und monokommunikativen Ausrichtung der Beratung, kann übergegangen werden zu einem kooperativen und vertrauensvollen Verhältnis zwischen Arzt und Patient, die gemeinsam an der Wiederherstellung oder Erhaltung der Gesundheit arbeiten. Diese Konstellation kann nur sichergestellt werden, wenn sowohl die Qualität des Angebotes auf Seiten der Digital-Health-Angebote weiter zunimmt und zugleich der Patient sich die Mühe macht, sich ausgiebig mit dem medizinischen Themengebiet auseinander zu setzen. Dies setzt ein gewisses Verantwortungsbewusstsein auf Seiten der Patienten voraus, was die Wissensgenerierung als auch die Vereinbarungseinhaltung mit dem praktizierenden Arzt betrifft.
Die Schaffung einer neuen Kommunikationskultur
Wenn sich die Rolle der Patienten verändert, verändert sich damit ebenfalls die Rolle der Ärzte. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass diese die neue Kommunikation auf Augenhöhe auch sofort akzeptieren und fördern. Zu lange war ihnen nämlich eine andere Position zugedacht. Um der neuen Konstellation Rechnung zu tragen, müssen auch die Ärzte aktiv in dieser neuen Rolle des Kooperationspartners oder des Coaches zurechtfinden. Eines ist jedoch klar: Der Trend zum mündigen Patienten wird sich nicht umkehren, sondern im Gegenteil, sogar noch an Schub gewinnen. Die Verfügbarkeit von medizinischen Informationen ist so gut wie nie zuvor und auch diese Auswahl an fundierten Informationen wird in naher Zukunft massiv zunehmen.
Fazit
Das Angebot, digitaler Helferlein, rund um das Thema Gesundheit, nimmt kontinuierlich zu. Damit steigt das Wissen der Patienten unweigerlich. Um diesen Wissens- und Mündigkeitsanstieg optimal zu nutzen, ist es notwendig, eine Kultur des medizinischen Dialogs, anstatt der des bisherigen Monologs, zu forcieren. Mediziner und Patienten sind in gleichem Maße in der Pflicht, an der Realisierung des Digital-Health-Empowerments kontinuierlich mitzuarbeiten, um eine Win-Win-Situation herzustellen.
Denn ob analog oder digital:
Eigenverantwortung verbessert die Heilungschancen
Oliver Neumann